Karriereleiter aus Pappe – Ein Postdoc liest den Koalitionsvertrag 2025

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Von Mindestvertragslaufzeiten, Exzellenzrhetorik und dem unerschütterlichen Glauben an Evaluierungen.

Zusammenfassung als Audio (Audio KI-generiert):

Nun ist er also da, der neue Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union. Als Postdoc mit jahrelanger Erfahrung in akademischer Prekarität konnte ich mir einen Blick auf den Abschnitt „Wissenschaft“ nicht verkneifen. Versprochen wird dort immerhin, die Arbeitsbedingungen „nachhaltig [zu] verbessern“ und „Karrierewege verlässlicher [zu] machen“ (Koalitionsvertrag, Z. 2427–2428). Klingt erstmal gut, aber schauen wir uns das genauer an.

WissZeitVG – endlich Reform?

Seit Jahren begleitet mich – wie viele andere Postdocs in Deutschland – das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) wie ein äußerst hartnäckiger und ziemlich unbeliebter Schatten. Unter dem schönen Deckmantel angeblicher Qualifizierung ermöglicht es befristete Beschäftigungen an Hochschulen – oft in absurd kurzen Zeitabschnitten von wenigen Monaten. Nun verspricht die neue Große Koalition im aktuellen Koalitionsvertrag vollmundig, das WissZeitVG „bis Mitte 2026“ novellieren zu wollen (Koalitionsvertrag, Z. 2428). Ich sehe das mit tief verwurzelter Skepsis.

Konkret heißt es im Vertrag: „Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion werden wir einführen und Schutzklauseln auf Drittmittelbefristungen ausweiten“ (Z. 2429–2430). Das klingt zunächst nicht schlecht. Tatsächlich sind Mindestvertragslaufzeiten schon lange eine zentrale Forderung der #IchBinHanna-Bewegung. Denn momentan ist es durchaus üblich, Doktorand*innen mit einjährigen Verträgen abzuspeisen – obwohl, wie jüngste Statistiken zeigen, eine Promotion im Schnitt 5,7 Jahre dauert. Die Idee, dass jemand ernsthaft innerhalb von zwölf Monaten ein umfassendes Forschungsprojekt beginnt und abschließt, ist geradezu abenteuerlich und grenzt an Realitätsverweigerung. Vierjährige Erstverträge wären deutlich realistischer und fairer.

Auch für die Zeit nach der Promotion verspricht die Koalition Verbesserungen. Aber was genau bedeutet das? Bisher dominiert hier das absurde Narrativ der endlosen Qualifizierung: Selbst Jahre nach Abschluss der Promotion gelten promovierte Wissenschaftlerinnen offiziell als noch nicht abschließend qualifiziert – und bleiben damit im WissZeitVG gefangen. Genau dies kritisiert #IchBinHanna scharf: Die Promotion ist laut Europäischem Qualifikationsrahmen der letzte berufsqualifizierende Abschluss, eine weitere Befristung mit Verweis auf Qualifizierung daher absurd. Daher fordert die Initiative klar: Das WissZeitVG darf nur für die Phase der Promotion gelten, Postdocs müssen unbefristete Verträge erhalten. Davon steht im Koalitionsvertrag jedoch leider kein Wort. Hier hätte die Koalition echten Mut beweisen können, indem sie klar Stellung bezieht und promovierte Wissenschaftlerinnen endlich wie die hochqualifizierten Fachkräfte behandelt, die sie längst sind.

Stattdessen setzt die neue Regierung lieber auf vage Formulierungen und verschiebt die entscheidende Konkretisierung auf die Zukunft. „Schutzklauseln auf Drittmittelbefristungen“ sollen ausgeweitet werden, was immer das genau heißen mag. Sicherlich ein netter Gedanke, aber wird es reichen, um den Befristungswahnsinn einzudämmen, der deutsche Hochschulen fest im Griff hat? Wäre es nicht deutlich mutiger gewesen, endlich verbindliche Höchstquoten für Befristungen einzuführen? Doch eine solche klare, quantitative Begrenzung fehlt im Vertrag bedauerlicherweise völlig.

Was bleibt also? Die Hoffnung, dass Mindestlaufzeiten wenigstens ein erster Schritt hin zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen sind. Vielleicht verhindern sie zumindest, dass wir Postdocs ständig gezwungen sind, unseren Jahresurlaub nur bis zum nächsten Vertragsende zu planen. Aber solange die grundlegenden Mechanismen des WissZeitVG nicht radikal hinterfragt werden, könnte sich der versprochene Fortschritt letztlich doch wieder nur als kleines Pflaster auf einer klaffenden Wunde erweisen. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob diese Reform wirklich grundlegenden Wandel bringt oder nur kosmetische Veränderungen sind, die am Kernproblem – der strukturellen Prekarität an deutschen Hochschulen – vorbeigehen. Ich bleibe skeptisch.

Departmentstrukturen statt Lehrstuhlmonarchie?

Eine besonders bemerkenswerte Ankündigung im Koalitionsvertrag ist das Ziel, durch „Anreize für Departmentstrukturen“ die hierarchische Struktur an Hochschulen aufzulösen oder zumindest abzuschwächen (Koalitionsvertrag, Z. 2431–2432). Für mich – und sicherlich auch für viele andere, die das deutsche Hochschulsystem kennen – klingt das auf den ersten Blick fast revolutionär. Schließlich dominieren hierzulande immer noch die traditionsreichen „Lehrstühle“, an deren Spitze jeweils ein Professor oder eine Professorin thront, deren Macht über Ressourcen, Stellen und Karrieren an mittelalterliche Monarchien erinnert – inklusive Hofstaat und strenger Hierarchie.

Das Lehrstuhlprinzip erzeugt seit Jahrzehnten ungesunde Abhängigkeitsverhältnisse, Machtmissbrauch und eine oft toxische Arbeitskultur. Diese Realität ist leider nicht nur auf vereinzelte Skandale beschränkt; vielmehr ist sie strukturell angelegt. Laut Hochschul-Barometer 2024 sehen vier von fünf Hochschulleitungen die hierarchischen Strukturen des Hochschulwesens als „belastend“ an. Das ist keine Randnotiz, sondern eine deutliche Aussage darüber, wie dringend eine grundlegende Reform tatsächlich ist. Diese Erkenntnis scheint nun endlich in der Politik angekommen zu sein – oder zumindest hat man begriffen, dass es nicht schaden könnte, das Thema mal anzusprechen.

Departmentstrukturen könnten hier tatsächlich Abhilfe schaffen: Indem mehrere Professuren und der sogenannte Mittelbau – also all jene, die wissenschaftlich arbeiten, aber keinen eigenen Lehrstuhl besitzen – in größere fachliche Einheiten zusammengefasst werden, ließe sich der Einfluss einzelner Personen relativieren. Das würde bedeuten, dass Entscheidungen über Ressourcen, Personalstellen und Forschungsschwerpunkte gemeinschaftlicher, transparenter und fairer getroffen werden müssten. Internationale Vorbilder, beispielsweise aus angelsächsischen Ländern, zeigen längst, wie erfolgreiche Zusammenarbeit in Departments aussehen könnte.

Allerdings muss man bei aller anfänglichen Euphorie skeptisch bleiben. Der Koalitionsvertrag spricht lediglich von „Anreizen“. Was genau das heißen soll, bleibt im Dunkeln. Bedeutet es finanzielle Förderungen für Universitäten, die sich von Lehrstühlen verabschieden? Oder handelt es sich eher um gut gemeinte, aber unverbindliche Empfehlungen, die bestenfalls in Sonntagsreden auftauchen? Und selbst wenn konkrete Anreize geschaffen werden: Werden Universitäten überhaupt bereit sein, diesen Schritt zu gehen? Schließlich bedeutet das Aufbrechen der Lehrstuhlstruktur auch eine massive Umverteilung von Macht und Einfluss – etwas, gegen das erfahrungsgemäß viele etablierte Professorinnen und Professoren durchaus Widerstände leisten könnten.

Es muss also gesetzliche Rahmenbedingungen für die Einführung von Departmentstrukturen geben. Der Koalitionsvertrag bleibt dagegen vage und schiebt die Verantwortung wohlwissend in Richtung Hochschulen und Länder ab.

Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass wir irgendwann tatsächlich in Strukturen arbeiten, in denen nicht jede Personalentscheidung, jede inhaltliche Ausrichtung und jeder Ressourcenantrag von der Tagesform eines einzigen Professors oder einer Professorin abhängt. Aber bis es so weit ist, bleibt nur zu hoffen, dass aus den jetzt formulierten „Anreizen“ irgendwann echte Maßnahmen werden – und dass wir nicht erneut nur symbolische Versprechungen bekommen, während wir weiter auf eine Reform warten, die in anderen Ländern längst selbstverständlich ist. Bis dahin bleibe ich optimistisch – aber lieber nicht zu sehr.

Tenure-Track – die ewige Karotte

Kommen wir zu einem der meistdiskutierten Begriffe der deutschen Wissenschaftspolitik: dem „Tenure-Track“. Der Koalitionsvertrag verspricht uns vollmundig, das Tenure-Track-Programm „auszubauen“ und gleichzeitig „die Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen“ verbessern zu wollen (Koalitionsvertrag, Z. 2433–2434). Klingt zunächst beruhigend, oder? Endlich mehr Klarheit und Sicherheit für uns Postdocs, könnte man denken.

Doch bevor ich in Jubel ausbreche, ein kleiner Realitätscheck: Seit Jahren ist das Tenure-Track-Programm in Deutschland als das goldene Ticket vermarktet worden, das endlich planbare Karrierewege ermöglichen soll. Das Prinzip: Man startet auf einer Juniorprofessur und erhält nach erfolgreicher Evaluation – meist nach sechs Jahren – eine unbefristete Professur. Auf dem Papier eine schöne Idee, zweifellos. Endlich eine klare Perspektive, endlich eine Chance, sich akademisch zu etablieren.

Aber schauen wir genauer hin: Die derzeitige Situation gleicht eher einem akademischen Lotto-Spiel als einem ernsthaften Karriereweg. Auf jede einzelne Tenure-Track-Stelle kommen dutzende bis hunderte Bewerbungen. Das bedeutet, dass Tenure-Track für die überwiegende Mehrheit von uns eine schöne Idee bleibt, die man zwar freundlich begrüßt, aber eher aus der Ferne bewundern darf. Es fühlt sich also an, als würde uns ständig eine Karotte vor die Nase gehalten, nach der wir laufen sollen – nur, dass diese Karotte in Wahrheit an einer sehr, sehr langen Angel hängt.

Natürlich, jede zusätzliche Tenure-Track-Stelle hilft ein bisschen. Aber sie löst nicht das strukturelle Problem, das deutsche Hochschulen seit Jahrzehnten belastet: Es gibt schlichtweg zu wenige dauerhafte Positionen im Verhältnis zu der Zahl qualifizierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Solange sich an diesem grundsätzlichen Missverhältnis nichts ändert, bleibt der Tenure-Track letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

In diesem Zusammenhang klingt das Versprechen, „die Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen“ verbessern zu wollen, besonders vage und unverbindlich. Was genau ist damit gemeint? Sollen einfach ein paar befristete Verträge länger werden, oder will man tatsächlich systematisch unbefristete Stellen schaffen, die nicht exklusiv auf die Tenure-Track-Professur zugeschnitten sind? Hier wäre ein wenig mehr Klarheit wünschenswert gewesen – immerhin reden wir von einer Regierung, die angeblich nachhaltige Perspektiven schaffen möchte.

Die #IchBinHanna-Bewegung weist zurecht darauf hin, dass Tenure-Track zwar eine begrüßenswerte Entwicklung ist, aber keineswegs ausreicht, um die strukturelle Prekarität an Hochschulen zu beenden. Was wir dringend brauchen, sind unterschiedliche Karrieremodelle – stabile Mittelbaustellen neben den Professuren, Stellen, die auch langfristig im Wissenschaftssystem angesiedelt sind und nicht immer nur Sprungbrett oder Durchgangsstation sein müssen. Genau solche Modelle fehlen in der deutschen Wissenschaftslandschaft bisher fast völlig.

Mein Fazit also: Tenure-Track ist nett, die Erweiterung ist begrüßenswert, aber solange es nicht von einer breiteren strukturellen Reform begleitet wird, bleibt es eben doch nur eine weitere Karotte, die uns vor die Nase gehalten wird. Ich jedenfalls würde gerne irgendwann aufhören zu laufen – oder wenigstens endlich mal eine Karotte erwischen. Bis dahin betrachte ich die neue Ankündigung mit einer guten Portion Sarkasmus und der üblichen Postdoc-Vorsicht: Optimismus ja, aber nicht zu viel.

Exzellent wie bisher?

Wer gehofft hatte, dass mit dem neuen Koalitionsvertrag endlich eine grundlegende Wende in der Finanzierung deutscher Hochschulen eingeleitet wird, dürfte enttäuscht sein. Zur heiß diskutierten Exzellenzstrategie heißt es im Koalitionsvertrag lediglich, man werde sie „in den Förderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten für eine mögliche Förderperiode ab 2030 grundlegend evaluieren“ (Koalitionsvertrag, Z. 2485–2487). Klingt beeindruckend? Nun ja, eine Evaluierung ist keine Revolution – und auch keine Umverteilung dringend benötigter Mittel.

Seit der Einführung der Exzellenzinitiative (inzwischen Exzellenzstrategie genannt) im Jahr 2006 hat sich das deutsche Hochschulsystem in eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft entwickelt. Einerseits stehen die Gewinner der Exzellenz-Cluster und Universitäten, die im Dauerwettbewerb um Drittmittel prestigeträchtige Projekte vorweisen können. Andererseits gibt es die restlichen Hochschulen, die trotz großer Bemühungen immer wieder leer ausgehen. Klar, Wettbewerb belebt das Geschäft – zumindest wenn man nach neoliberaler Logik argumentiert. Doch leider bringt dieser Wettbewerb massive Nebenwirkungen mit sich: permanenter Antragsstress, ein enormer administrativer Aufwand und vor allem eine äußerst ineffiziente Verwendung von Ressourcen.

Die #IchBinHanna-Bewegung hat hier klare Worte gefunden und fordert seit Langem, sämtliche Exzellenzmittel (und einen großen Teil der DFG-Mittel gleich mit dazu) in die Grundfinanzierung der Hochschulen zu überführen. Denn die Exzellenzstrategie „frisst Arbeitszeit und Ressourcen in irrsinnigem Umfang“, während gleichzeitig den Hochschulen in der Breite dringend benötigte Grundmittel fehlen. Tatsächlich sieht es aktuell so aus, dass Professuren, Stellen und ganze Institute oft von Drittmittelprojekt zu Drittmittelprojekt hangeln müssen. Nachhaltige Planung? Fehlanzeige.

In diesem Kontext klingt die angekündigte „grundlegende Evaluierung“ der Exzellenzstrategie eher nach einer politischen Nebelkerze als nach einer echten Kehrtwende. Man verschiebt eine mögliche Neuausrichtung auf das Jahr 2030 – praktisch also nach Ende der nächsten Legislaturperiode. Bis dahin heißt es wohl: weiter wie bisher. Wir dürfen uns also auch künftig auf weitere Jahre teils sinnlosen Wettbewerb freuen, bei dem häufig mehr Zeit in Anträge, Gutachten und Evaluierungen gesteckt wird als in eigentliche Forschung und Lehre.

Natürlich ist es möglich, dass die Evaluierung irgendwann zu dem Ergebnis kommt, dass eine Umverteilung von Mitteln zugunsten der Grundfinanzierung sinnvoll wäre. Aber warum muss man darauf noch bis mindestens 2030 warten? Bereits heute liegen zahlreiche kritische Stimmen, Berichte und Evaluationen vor, die auf die strukturellen Defizite der Exzellenzförderung hinweisen. Dass die Politik trotzdem so zögerlich agiert, zeugt wohl vor allem von der starken symbolischen Bedeutung des Wettbewerbsprinzips, das auch weiterhin als „Qualitätsmerkmal“ verkauft werden soll.

Als Postdoc wünsche ich mir stattdessen endlich ein stabiles System, in dem ich nicht ständig von Drittmittelantrag zu Drittmittelantrag springen muss – mit ungewisser Perspektive und ständigem Leistungsdruck. Nachhaltige, verlässliche Grundfinanzierung wäre kein Luxus, sondern dringend notwendig für Forschung, Lehre und insbesondere für die Menschen, die beides gestalten sollen. Solange das nicht geschieht, bleibt die angekündigte Evaluierung der Exzellenzstrategie für mich vor allem eines: ein weiteres Zeichen dafür, dass tiefgreifende Reformen zugunsten besserer Arbeitsbedingungen an Hochschulen wohl noch lange auf sich warten lassen. Optimismus? Nur in homöopathischen Dosen, bitte.

Frauen in der Wissenschaft

Natürlich darf im neuen Koalitionsvertrag auch das Thema Gleichstellung nicht fehlen. Schließlich gehört es inzwischen zum guten Ton, wenigstens irgendwo ein paar wohlklingende Worte zum Thema Chancengleichheit fallen zu lassen. Im aktuellen Vertrag klingt das so: „Wir wollen den Anteil von Frauen an wissenschaftlichen Führungspositionen weiter erhöhen – wir unterstützen das Kaskadenmodell und verstärken das Professorinnenprogramm“ (Koalitionsvertrag, Z. 2434–2435). So weit, so gut.

Das Kaskadenmodell sieht dabei vor, dass sich der Anteil der Frauen auf den verschiedenen akademischen Karriereebenen an deren jeweiligem Anteil auf der vorhergehenden Qualifikationsebene orientiert. Klingt logisch und fair, denn warum sollte der Frauenanteil von der Promotion über Juniorprofessuren bis zu den Professuren kontinuierlich sinken, wie es aktuell noch viel zu oft der Fall ist? Das Professorinnenprogramm unterstützt ergänzend Hochschulen finanziell, wenn sie Frauen auf Professuren berufen – ebenfalls eine begrüßenswerte Maßnahme.

Aber sind diese Ansätze ausreichend? Die Realität an deutschen Hochschulen sieht oft leider anders aus. Noch immer berichten viele Kolleginnen von struktureller Benachteiligung, fehlenden Perspektiven, schlechteren Vertragsbedingungen und nicht zuletzt von Diskriminierung, wenn es um Familienplanung und Karriereplanung geht. Gerade in einem System, das nach wie vor stark auf kurzfristige, unsichere Arbeitsverträge setzt, werden vor allem Frauen strukturell benachteiligt. Denn unsichere Karrierewege treffen diejenigen besonders hart, die zusätzlich zu ihrer Karriere auch familiäre Verpflichtungen stemmen wollen oder müssen. Diese Belastungen können und wollen viele – verständlicherweise – nicht dauerhaft auf sich nehmen. Das Ergebnis ist der sogenannte „Leaky Pipeline“-Effekt, der Frauen auf dem Weg zur Professur systematisch benachteiligt und letztlich oft aus der Wissenschaft drängt.

Was im Koalitionsvertrag also gut klingt, könnte sich im Alltag leider schnell wieder nur als halbherziges Lippenbekenntnis entpuppen, wenn keine tiefgreifenden strukturellen Änderungen vorgenommen werden. Denn Gleichstellung wird nicht allein dadurch erreicht, dass man ein paar zusätzliche Professuren an Frauen vergibt. Es braucht darüber hinaus sichere Beschäftigungsbedingungen, verlässliche Karrieremodelle, eine echte Familienfreundlichkeit und faire Arbeitszeitregelungen, die es Frauen ermöglichen, Wissenschaft als langfristig attraktiven Arbeitsplatz zu erleben – und nicht nur als Durchgangsstation oder gar Karrierefalle.

Die #IchBinHanna-Bewegung weist daher zurecht darauf hin, dass strukturelle Prekarität an Hochschulen immer auch Gleichstellungsfragen berührt. Dauerstellen und stabile Beschäftigungsbedingungen wären gerade für Frauen entscheidend, um Wissenschaft tatsächlich langfristig als Karriereoption betrachten zu können. Ob die Koalition das wirklich verstanden hat? Der Vertrag lässt zumindest Zweifel aufkommen. Schließlich fehlen konkrete Maßnahmen, um die strukturellen Ursachen der bestehenden Ungleichheiten wirklich zu beheben. Stattdessen setzt man weiterhin auf bewährte, aber letztlich punktuelle Maßnahmen wie das Professorinnenprogramm.

Meine persönliche Einschätzung als Postdoc: Das Ziel ist lobenswert, die Absichtserklärungen sind wichtig. Doch solange die grundlegenden Strukturen prekärer Beschäftigung nicht aufgebrochen werden, wird echte Gleichstellung wohl leider weiter ein Wunschtraum bleiben. Lippenbekenntnisse reichen nicht aus, um echte Veränderungen zu bewirken – das sollten auch SPD und Union inzwischen verstanden haben. Bis dahin bleibe ich vorsichtig optimistisch und schaue weiterhin kritisch auf die Umsetzung.

Von extrem unterfinanziert zu moderat unterfinanziert

Ein zentrales Versprechen des neuen Koalitionsvertrags ist die Stabilisierung und langfristige Sicherung der Hochschulfinanzierung. Konkret heißt es dazu: „Wir stärken Studium und Lehre systematisch und dynamisieren den ‚Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken‘ auch über 2028 hinaus“ (Koalitionsvertrag, Z. 2467–2468). Klingt erstmal gar nicht so schlecht – zumindest solange man nicht genau hinschaut.

Tatsächlich ist die finanzielle Lage an vielen deutschen Hochschulen seit Jahren angespannt, vorsichtig formuliert. Eher könnte man sagen: extrem unterfinanziert. Hörsäle sind überfüllt, Gebäude verfallen, Laborausstattung stammt teils aus dem letzten Jahrhundert, und Personalstellen müssen permanent aus kurzlebigen Drittmittelprojekten finanziert werden. Eine verlässliche Grundfinanzierung, die es erlaubt, langfristig Stellen zu planen, Infrastruktur zu erhalten und Forschung kontinuierlich zu betreiben, bleibt für viele Hochschulen ein ferner Traum.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Ankündigung, den „Zukunftsvertrag Studium und Lehre“ zu dynamisieren – also an den steigenden Bedarf und die Inflation anzupassen – fast schon revolutionär. Doch Vorsicht: Dynamisierung klingt zwar beeindruckend, bedeutet aber zunächst nur, dass der Vertrag eben nicht gekürzt, sondern jährlich angepasst werden soll. Eine signifikante Aufstockung oder gar eine ausreichende Finanzierung ist damit noch lange nicht garantiert.

Vielmehr deutet sich hier ein weiteres Problem an, das im Koalitionsvertrag überhaupt nicht angegangen wird: Während die prestigeträchtigen Exzellenzmittel im Wettbewerb verteilt werden, bleibt die Grundfinanzierung der Universitäten meist deutlich zurück. Hochschulen müssen sich weiterhin in absurden Drittmittelwettbewerben verausgaben, um überhaupt den regulären Betrieb zu gewährleisten. Die Folge ist ein ständiges Jonglieren mit Finanzmitteln, die niemals ausreichen, um stabile Arbeitsplätze und vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen.

Genau hier setzt die Kritik der #IchBinHanna-Bewegung an: Sie fordert, die enormen Ressourcen, die derzeit in prestigeträchtige und hochgradig wettbewerbliche Exzellenz- und Drittmittelprogramme fließen, endlich in die Grundfinanzierung umzulenken. Denn erst eine solide, langfristige Finanzierung würde es Hochschulen ermöglichen, Personal dauerhaft einzustellen, Infrastruktur angemessen auszubauen und endlich auch verlässliche Karrierewege anzubieten. Dass die neue Koalition stattdessen nur vage von einer „systematischen Stärkung“ spricht, deutet leider darauf hin, dass auch weiterhin eher kleine Korrekturen statt grundsätzlicher Reformen geplant sind.

Als Postdoc stelle ich mir deshalb die Frage: Bedeutet die neue Strategie der Koalition letztlich nur, dass Universitäten von „extrem unterfinanziert“ auf „moderat unterfinanziert“ hochgestuft werden? Natürlich wäre das eine Verbesserung – aber eben keine echte Lösung der strukturellen Probleme. Stabile Beschäftigung, angemessene Betreuungsverhältnisse und verlässliche Forschung brauchen mehr als ein paar Prozent Anpassung in einem Zukunftsvertrag. Sie brauchen Mut zur strukturellen Reform und eine Abkehr vom Wettbewerb als Allheilmittel.

Bis dahin werde ich wohl weiterhin meinen Optimismus zurückhaltend dosieren und darauf hoffen, dass die Universitäten wenigstens von der akuten Krisenbewältigung in einen halbwegs erträglichen Modus der chronischen Mangelverwaltung wechseln können. Wirklich zufriedenstellend ist das natürlich nicht – aber man gewöhnt sich ja an alles, oder?

Fazit: Jubeln oder Skepsis?

Was bleibt nun, nachdem ich mich durch die wissenschaftspolitischen Versprechen des neuen Koalitionsvertrags gekämpft habe? Grundsätzlich: eine vorsichtige, aber doch ziemlich ausgeprägte Skepsis. Klar, der Vertrag enthält viele schöne Worte und durchaus richtige Erkenntnisse – etwa die Ankündigung, Arbeitsbedingungen „nachhaltig [zu] verbessern“, Karrierewege „verlässlicher [zu] machen“ oder gar Mindestvertragslaufzeiten einzuführen (Koalitionsvertrag, Z. 2427–2429). All das klingt erst einmal vielversprechend, vor allem nach Jahren des Stillstands.

Doch genau hier liegt das Problem: Wir haben in der Vergangenheit einfach zu viele gut klingende Absichtserklärungen gehört, die am Ende entweder gar nicht oder nur halbherzig umgesetzt wurden. Der aktuelle Vertrag ist voller vager Formulierungen und unkonkreter Versprechen: „Anreize schaffen“, „Evaluierungen durchführen“, „Rahmenbedingungen verbessern“ – es mangelt durchgehend an klar definierten Zielsetzungen, Zahlen oder verbindlichen Fristen.

Besonders kritisch sehe ich dabei die Reformankündigungen zum WissZeitVG. Die Idee von Mindestvertragslaufzeiten ist dringend notwendig, aber solange das Gesetz Postdocs weiter als permanent „nicht abschließend qualifiziert“ behandelt, werden die strukturellen Probleme bestehen bleiben. Dass hier nicht klar festgelegt wurde, dass promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler endlich raus aus dem WissZeitVG müssen, empfinde ich als enttäuschend und wenig mutig.

Positiv hervorheben möchte ich dagegen die geplanten Departmentstrukturen, denn diese könnten tatsächlich helfen, hierarchische Machtstrukturen an Hochschulen aufzubrechen. Aber solange unklar bleibt, welche konkreten Anreize geschaffen werden und ob die Hochschulen überhaupt mitziehen, bleibt auch diese Reform letztlich spekulativ.

Ähnlich zwiespältig sehe ich den angekündigten Ausbau des Tenure-Track-Programms. Ja, es werden neue Chancen geschaffen, aber leider viel zu wenige. Solange Tenure-Track nicht von einer breiteren strukturellen Stärkung unbefristeter Stellen begleitet wird, bleibt es eben doch nur eine einzelne Karotte, der weiterhin viel zu viele Bewerberinnen und Bewerber hinterherlaufen müssen.

Am wenigsten überzeugt hat mich die vage Ankündigung zur Exzellenzstrategie. Statt die dringend benötigte Grundfinanzierung der Hochschulen jetzt und direkt zu stärken, verschiebt man grundlegende Entscheidungen auf eine „grundlegende Evaluierung“ im Jahr 2030. Bis dahin bleibt also alles beim Alten: Wettbewerb um knappe Mittel, bürokratischer Aufwand und wenig Planungssicherheit.

Auch bei der Gleichstellung vermisse ich echte strukturelle Veränderungen. Lippenbekenntnisse und punktuelle Maßnahmen wie das Professorinnenprogramm reichen nicht, solange das System insgesamt Frauen strukturell benachteiligt und ihnen durch prekäre Beschäftigung und unsichere Perspektiven nachhaltige Karrieren erschwert.

Fazit meines Fazits? Der neue Koalitionsvertrag enthält zwar einige erfreuliche Ansätze, aber eben auch zu viele unverbindliche Formulierungen und halbe Schritte. Ob tatsächlich eine tiefgreifende Reform folgt, die den Alltag von uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern spürbar verbessert, bleibt leider abzuwarten. Skepsis erscheint daher angebracht, Jubeln wäre jedenfalls deutlich verfrüht.

Bis dahin gilt: Ich halte meinen Optimismus weiterhin sorgfältig dosiert – und meine alternativen Karriereoptionen gut sortiert und griffbereit. Denn am Ende zählt nicht, was im Vertrag steht, sondern was in der Praxis umgesetzt wird. Und daran werden wir die Koalition letztlich messen müssen.

— Marian